Diese Artikel stammen aus der Badischen Zeitung

Umweltverschmutzung

Plastiksuppe Weltmeere: Wieso auch Textilien schuld sind

Im Atlantik und Pazifik schwimmen ganze Müllberge aus Plastik. Schuld daran sind nicht nur Tüten. Kleider aus Kunstfasern setzen bei jedem Waschen 1900 Fäserchen frei, die in den Meeren landen.

  1. Kehrseite der Reinlichkeit: Fasern werden ins Abwasser gespült. Foto: Andrea Warnecke

  2. Gelangt über die Nahrungskette wieder zurück zum Menschen – Plastik im Meer Foto: Fotos: dpa

Die Plastikverschmutzung der Meere ist ein bekanntes und oft beklagtes Problem. Neu ist, dass nicht allein die Plastiktüten schuld an dieser Verschmutzung sind. Ein Großteil der kleinen Plastikpartikel im Meer stammt von Textilien. Ein EU-Projekt soll diese Verschmutzung nun um 70 Prozent reduzieren.

Die Weltmeere verwandeln sich zunehmend in eine Plastiksuppe. Bekannt sind vor allem die großen Müllstrudel im Atlantik und Pazifik. In Letzterem kommen sechs Plastikpartikel auf ein Plankton-Kleinlebewesen. Im Mittelmeer hat das Plankton noch die Mehrheit. Auf zwei der Kleinlebewesen kommt ein Plastikpartikel, die auch Tränen der Meerjungfrauen genannt werden. Bislang ging man immer davon aus, dass der größte Teil dieses Plastiks entweder vom Land in die Meere geschwemmt wird oder von Schiffen stammt. Die größte Quelle der Plastikverschmutzung sind aber Kleider, wie eine Studie in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology zeigt.

Zu klein für die Kläranlage


Der Autor, Mark Browne von der Universität Kalifornien, hat Plastikfasern an Stränden analysiert und festgestellt, dass es sich bei 85 Prozent um Textilfasern handelt, etwa Polyester- oder Acrylfasern. Daraufhin hat er Tests mit Waschmaschinen durchgeführt: Ein Kleidungsstück aus synthetischem Material verliert pro Waschgang bis zu 1900 Fasern. Diese Fasern sind mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Sie sind auch zu klein, um von Kläranlagen herausgefiltert zu werden und gelangen daher in die Meere, wo sie dann bleiben.

Da Plastikmoleküle sehr stabil sind, zerfallen die Plastikfasern zwar in immer kleinere Stücke, aber sie zersetzen sich nicht. Mit der Zeit können sich Giftstoffe an den Plastikpartikeln anlagern oder sie werden von einem Film aus Bakterien und Viren überzogen. Verwechseln dann Fische die Plastikpartikel mit Plankton, ist der Kreis geschlossen: die Giftstoffe landen über die Fische wieder auf dem Teller. Bei Krusten- und Schalentieren oder Sprotten, die vor der Zubereitung nicht ausgenommen werden, verzehrt der Mensch sogar das Mikroplastik, das sich in deren Mägen angesammelt hat.

Feine Filter in der Waschmaschine


Die EU hat dieses Problem mittlerweile erkannt und ein Projekt aufgelegt, das das Problem von drei Seiten her untersucht: Der erste Ansatzpunkt ist die Textilindustrie. Diese soll ermutigt werden, Kunstfasern einzusetzen, die weniger Fasern beim Waschen abgeben. Dann kommen die Hersteller von Waschmitteln ins Spiel. Diese sollen prüfen, ob sie durch Zusätze die Zahl der Fasern reduzieren können. Und schließlich sind auch die Produzenten von Waschmaschinen in der Pflicht: Diese könnten feinere Filter in ihre Maschinen einbauen, um die verbleibenden Fasern aus dem Wasch-Abwasser auszufiltern. Ziel des Projekts ist eine Reduktion der Anzahl Fasern im Wasch-Abwasser um mindestens 70 Prozent.

Zumindest ein Hersteller von Waschmaschinen hat sich bereits mit dem Problem der Plastikfasern beschäftigt, die Firma BSH Hausgeräte, die Waschmaschinen unter den Markennamen Siemens und Bosch produziert. "Wir bei der BSH erforschen das Thema Mikroplastics bereits seit einigen Jahren", teilt BSH-Sprecherin Johanna Janusch mit. "Um das Problem umfassend zu lösen, müsste man bei dessen Ursache anfangen, also bei der Herstellung von Textilien, da insbesondere während der ersten Gebrauchsphasen eines Textils sehr viele Fasern abgelöst werden", sagt sie.

In den USA sind Filter für Großwäschereien Pflicht


Einen Filter für die Mikrofasern hat aber auch BSH noch nicht: "Bislang gibt es leider noch keine vernünftige Lösung für unsere Serien-Waschmaschinen und -Trockner, die diese kleinen Fasern aus der Lauge entfernen könnte. Darüber hinaus müssten diese Fasern dann von den Konsumenten auch entsprechend entsorgt werden, damit diese nicht ins Abwasser gelangen", sagt Janusch.

Die Hersteller hinter den Marken Miele, Bauknecht und AEG/Electrolux haben auf die Frage nach der Faserproblematik nicht einmal geantwortet. Damit bestätigen sie eine Aussage von Maria Westerbros, der Chefin der niederländischen Umweltorganisation Plastic Soup Foundation: "Trotz der Warnungen vieler Wissenschaftler ignorieren viele Hersteller von Waschmaschinen das Problem. Das kann doch nicht sein." Ein Vorbild könnten hier die USA sein: Dort sind Filter zumindest für Großwäschereien Pflicht.

Kosmetika sind kein Problem mehr

Viele Kosmetika wie Peelings enthalten kleine (0,01 bis 1 mm ) Plastikkügelchen, um tote Hautzellen abrubbeln zu können. Diese Plastikkügelchen sind so klein, dass sie von Kläranlagen nur zum Teil herausgefiltert werden und daher letztlich im Meer landen. Einer niederländischen Umweltorganisation, der Stiftung Nordsee, ist zuerst aufgefallen, dass dies keine gute Idee ist. Im Jahr 2011 kontaktierte sie die Hersteller von Kosmetika mit der Bitte, auf den Einsatz von Mikroplastik in ihren Produkten zu verzichten. Einige kleinere Hersteller aus den Niederlanden kamen der Bitte nach. Im Jahr darauf wurde dann einer der Industriegiganten mit einer Kampagne auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ins Visier genommen. Kurz darauf kündigte Unilever an, ab diesem Jahr auf den Einsatz der Plastikkügelchen in Kosmetika zu verzichten. Als Alternativen stehen gemahlene Nussschalen oder Pflanzenfasern (Zellulose) zur Verfügung. Nach und nach konnten dann die meisten größeren Hersteller von Kosmetika überzeugt werden, dem Beispiel von Unilever zu folgen. Mittlerweile haben The Body Shop, L’Oréal, Johnson und Johnson, Procter und Gamble, Beiersdorf, Louis Widmer sowie Coop und Migros (Eigenmarken) angekündigt, in ihren Kosmetikartikeln kein Mikroplastik mehr zu verwenden. Bei einigen Firmen brauchte es dabei mehr Überzeugungsarbeit als bei anderen. Für den auf Naturkosmetika spezialisierten Hersteller Yves Rocher musste gar eine Unterschriftensammlung organisiert werden. Parallel wird versucht Mikroplastik in Kosmetika zu verbieten. Die Niederlande sowie einige US-Bundesstaaten haben dies bereits getan. In der Schweiz, in Deutschland und in der EU haben Parlamentarier oder EU-Mitgliedsländer derartige Verbote angeregt.

 

Beispiel Nordsee

Plastikmüll: Irgendwann kommt alles zu uns zurück

Innerhalb weniger Jahrzehnte haben Kunststoffe die Welt erobert. Neben den Meeren sind auch Seen, Flüsse und die Tiefsee dauerhaft belastet.Ein Besuch in einem Labor an der Nordsee.

  1. Indikator für die Plastikmüllbelastung der Nordsee: toter Eissturmvogel Foto: Alexander Stein

  2. Platikgranulat aus einem Kosmetikgel Foto: alexander stein


Bunte Partikel klimpern im Metallsieb des Spülbeckens. Stefan Weiel dehnt den kleinen Vogelmagen zwischen den Fingern und wäscht mit dem Wasserstrahl breiige Futterreste aus. Erneut prasselt es in die Auffangschale. "Pellets!", sagt der Wissenschaftler und kratzt den Inhalt in eine Petrischale. Weiel arbeitet in Büsum im Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Uni Kiel. Im "Seziercontainer" leert er die Mägen toter Eissturmvögel und sortiert das darin gefundene Plastik: Reste von Schaumstoffen und Folien, Angelschnüre und Dichtungen, synthetischen Fasern, Luftballons und anderes "Verbraucherplastik" – sowie zylindrische Pellets, dem Ausgangsmaterial der kunststoffverarbeitenden Industrie.

Zwar sind nur wenige der Eissturmvögel, die Weiel auf den Tisch bekommt, an diesem Plastik verendet. Dank ihres Zwei-Magen-Systems schaffen sie es, Kunststoffteile kleinzumahlen und auszuscheiden. Da die Vögel jedoch, anders als etwa Möwen, ihre Nahrung – und den Müll, den sie dafür halten – überwiegend an der Wasseroberfläche aufnehmen, gelten sie als gute Indikatoren für die Plastikmüllbelastung der Nordsee.

Weiel hat schon den nächsten Magen in der Hand, er hält ihn ans Licht. "Der hier hat ein kleines Magengeschwür." Er deutet auf eine Rotverfärbung. "Das kann mit Plastik im Zusammenhang stehen." Einige bereits untersuchte Mägen seien durch spitze Fremdkörper "von innen gepierct" gewesen.

Die Ospar-Meeresschutzkonvention zur Stärkung der marinen Umwelt im Nordostatlantik will erreichen, dass "weniger als zehn Prozent der Eissturmvögel 0,1 Gramm oder mehr Plastikmüll im Magen haben." Derzeit sind es in der Nordsee aber mehr als 60 Prozent, und die durchschnittlich gefundene Müllmenge ist dreimal schwerer. Die Müllmenge in der Nordsee sei "ein Signal, nicht auf andere Länder mit dem Finger zu zeigen", mahnt der Biologe Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, "bei uns sieht es nicht besser aus".

Die Europäische Union hat 2008 eine Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie verabschiedet, deren Ziel ein guter Umweltzustand der an die Mitgliedsstaaten grenzenden Meere ist. Ihr Ziel: Die Abfälle im Meer so gering zu halten, dass sie "keine schädlichen Auswirkungen auf die Küsten- und Meeresumwelt" haben. Aber wie viel Müll im Meer ist tolerabel?

"Wenn man einen radikalen Ansatz fahren würde, würde man sagen, gar keiner", meint Gutow, "aber das ist utopisch." Dazu müsste die Industrie, mahnt er, mehr alternative Verpackungen entwickeln und wiederverwertbare Produkte. Ja, und er sieht sogar Verbesserungen: Die Menge der Plastikpellets im Meer etwa nehme inzwischen weniger stark zu. Doch solle man nicht nur die Industrie in die Pflicht nehmen, auch die Verbraucher, verlangt Gutow. "Wir können über unseren Konsum entscheiden, was im Müll oder in der Umwelt landet."

Obwohl es längst kritische Berichte darüber gibt, fügen Hersteller ihren Körperpflegeartikeln wie Peelings und Zahnpasta noch immer eigens dafür produziertes Kunststoffgranulat zu. Dieses sogenannte primäre Mikroplastik ist neben Wasser zuweilen der Hauptproduktbestandteil. In den Inhaltsstoffen taucht es als Polyethylene (PE) oder Polypropylene (PP) auf. Sekundäres Mikroplastik wiederum entsteht durch die Zersetzung der großen Kunststoffteile. Durch UV-Strahlung spröde gewordene PET-Flaschen und Tüten zerbröseln, Fischernetze reiben sich beim Einholen ab, synthetische Kleidungsstücke wie Fleecepullover verlieren teils Tausende Fasern pro Waschgang.

"Je kleiner die Partikel werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine schädigende Wirkung auf die Organismen haben", vermutet Lars Gutow. In Laborexperimenten einer Gruppe um Professor Angela Köhler wurden Mikroplastikpartikel von Miesmuscheln nicht nur aus dem Wasser gefiltert, sondern traten in deren Gewebe ein und sorgten für Entzündungen. Hinzu kommt eine hohe Belastung des treibenden Plastiks, teils schon aus der Produktion, mit Weichmachern und Flammschutzmitteln. Auch sammeln sich an ihm wie an einem Magneten Giftstoffe aus dem Meer. Bei manchen Stoffen weise das Plastik eine millionenfach höhere Konzentration auf als das Umgebungswasser, berichtet Gutow.

Was das mit dem Vogel oder Fisch macht, wissen die Forscher in Büsum laut Gutow noch nicht genau, welche Rolle etwa die Verdauungsenzyme oder der pH-Wert im Magen spielen. "Den Zusammenhang herzustellen zwischen Toxikologie und Plastikmüll im Magen ist schwierig", sagt auch Weiel.

"Was wir ins Wasser werfen, verbreitet sich weltweit"

Die Regierung der Färöer-Inseln hat sich in Büsum gemeldet und Interesse an der Forschung bekundet, denn auf den Inseln, sagt Weiel, stehen die Eissturmvögel zuweilen auf der Speisekarte. Spricht’s, beugt sich in seinem weißen Kittel über eine weitere Petrischale und gibt zu Protokoll: "Das ist die Linse eines Fisches; das ist das Innenleben eines Kronkorkens; das ist Styropor. Was ich häufig finde, sind Luftballons", berichtet der gelernte Geograph, während er das feuchte Zeug mit der Pinzette sortiert. Am liebsten würde er sie verbieten, wenigstens an der Küste. "Hier ist was Lustiges", frohlockt er unvermittelt, "der Kiefer eines Seeringelwurms!"

Ähnlich winzig ist das Tier, von dem Lars Gutow sich faszinieren lässt: Die Meerassel Idotea Metallica. Sie lebt ausschließlich auf treibenden Objekten und ist ein "richtiger Plastikjunkie", erzählt der Biologe. So entziehe sich das Krebstier dem Konkurrenzdruck auf organischem Treibgut, das sich zudem oft natürlich zersetzt. Zwar gebe es "noch keinen Nachweis", dass sich eine Spezies auf diese Weise ein neues Habitat erschlossen hat, erklärt der Wissenschaftler, "aber wir haben schon Arten gefunden auf treibendem Müll jenseits ihres bekannten Verbreitungsgebiets".

Den Abfall selbst, dem eine Lebensdauer von Hunderten von Jahren zugetraut wird, finden die Forscher ebenfalls abseits vermuteter Pfade wieder: Auf dem Meeresboden der dünn besiedelten polaren Gebiete hat das Institut Müll in einer Menge gefunden, die mit der in den Gewässern Westeuropas vergleichbar sei. "Was wir hier ins Wasser werfen", folgert Gutow, "bleibt nicht an der Küste, sondern verbreitet sich weltweit."

Die Binnengewässer sind ebenfalls betroffen. Eine Forschungsgruppe der Universität Bayreuth hat im Herbst 2013 ihre Analyse des Gardasees in Oberitalien veröffentlicht: Dort ist Mikroplastik im Uferbereich des Sees teilweise genauso dicht verstreut wie an Meeresstränden.

Gruppenleiter Christian Laforsch soll nun im Auftrag der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) Mikroplastikuntersuchungen in den baden-württembergischen Gewässern betreuen. Dass er derartige Untersuchungen auch in Bayern macht, gewährleistet die Vergleichbarkeit der Ergebnisse.

"Hinsichtlich der Quellen, der eingetragenen Mengen, dem Verbleib und der Folgen für Tiere und das Ökosystem" gebe es noch viele offene Fragen, schreibt Laforsch in einer Publikation seiner Anstalt. Zwanzig strategische "Probeentnahmestellen" sollen bald Aufschluss geben über die Belastung von Rhein, Neckar und Bodensee.

"Wir kennen die Ausmaße des Problems noch gar nicht", räumt auch Biologe Gutow ein: Plastik wird, wenn es zu klein wird, mit den bisherigen Methoden nicht mehr erfasst. Überdies scheint sich der Müll von den flachen Schelfmeeren ins "dunkle Paradies" zu bewegen, wie Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut die Tiefsee nennt – eine Region, die keineswegs leblos und abgeschnitten ist. Krebse und Wale seien in der Lage, zwischen der Meeresoberfläche und der Tiefsee hin- und herzuwandern, so Boetius.

Pottwale halten Plastiktüten mitunter für fressbare Quallen, eine geringe Größe der Partikel erhöhe laut Laforsch wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass "Fische, Würmer und andere Wirbellose sie mit Nahrung verwechseln".

"Es geht in die Biologie rein und damit in die Nahrungskette", schließt Gutow. Dass es letztlich im Menschen lande, sei bislang nicht nachgewiesen, "aber ich halte die Indizienkette für durchaus schlüssig."

 

Stichwort: Plastikmüll


Plastikmüll im Meer ist ein globales Problem. Plastik und seine Zersetzungsprodukte sammeln sich vor allem in Strömungswirbeln. Der Müll wird durch Wellen und UV-Licht zerkleinert, bis hin zur Pulverisierung, und wird von verschiedenen Meeresbewohnern mit der Nahrung aufgenommen. Damit steigen Plastikpartikel, an denen giftige Chemikalien anlagern, in der Nahrungskette immer weiter auf und gelangen auch in die für den menschlichen Verzehr bestimmten Lebensmittel.